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Festivals, Medien & TV

Eigentlich bleibt ja alles beim Alten, so allseits die Beteuerungen. Lutz Hachmeister, Mitbegründer und Präsident der ehemaligen Cologne Conference, das jetzt Film Festival Cologne heißt, hatte schon auf der ersten Pressekonferenz vor Festivalstart klargestellt: „Man kann und darf jetzt auch draufschreiben, was drin ist.“ Gemeint ist die Umbetitelung des Events, die nun offiziell macht, was eigentlich sowieso schon Praxis war: Denn auch wenn sich die CoCo ursprünglich damit einen Namen gemacht hat, hochkarätige TV-Produktionen auf die Leinwand zu bringen, so stehen hier bereits seit Jahren auch Kinofilme mit auf dem Programm.

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Ganz ohne Unmut klappt die Neuausrichtung natürlich nicht. „Sie verspielen hier Ihr Alleinstellungsmerkmal als Fernsehfestival“, so wirft ein Medienvertreter schon während der Pressekonferenz in den Raum. Diesen Kommentar höre ich auch während unseres Festivalbesuchs auch immer wieder aus Zuschauerreihen, scheinbar mit der dahinterstehenden Befürchtung, mit der großen Geste „TV, Kino, YouTube – wir können alles!“ verschenke man die ‚eigentliche‘ Expertise. Dazu kommt, dass der Titel „Film Festival Cologne“ eine Platzhirsch-Position in Anspruch nimmt, die sich als ‚das‘ Filmfestival Kölns ausweist. Dass sich kleinere Filmfestival-Veranstalter im Kölner Raum durch diesen fast schon großspurigen Auftritt des vormaligen TV-Events zur Seite gedrängt fühlen, ist nachvollziehbar.

Die Gründe für die Namensänderung? Lutz Hachmeister nennt einige: „Wir interpretieren Film als Bewegtbild, das sich nicht unbedingt an Fernsehen oder Kino als Endmedium koppelt“, so stellt der Festivalgründer klar, „diese künstliche Trennung von Kino und Fernsehen in Sachen Film ist in der gegenwärtigen Medienlandschaft so nicht mehr gegeben und scheint mir artifiziell.“ Außerdem sei durch den Begriff ‚Conference‘ häufig der Eindruck entstanden, dass es sich um eine geschlossene Veranstaltung handle, „wie ein wissenschaftliches Symposion etwa.“ Mit dem neuen Titel wolle man unter anderem internationale Filmbranchenvertreter besser ansprechen können. Einen der wohl wichtigsten Gründe schiebt Hachmeister noch hinterher: „Wir wollen da ankommen, wo andere Festivals sind. Als viertgrößte Stadt Deutschlands und einwohnerreichstes Bundesland sollte Köln auch als Festivalstandort Stellung beziehen – und den Standort gegen die Konkurrenz aus anderen Städten wie Hamburg oder München stärken.“

Soweit der Plan, den die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker dann in ihrer Eröffnungsrede noch einmal umreißt mit dem Credo: „Weg vom Branchentreff, hin zum Publikumsfestival“. Der Saal, zu dem sie spricht, ist bis auf den letzten Platz voll, gezeigt wird der Eröffnungsfilm „Nocturama“ des französischen Regisseurs Bertrand Bonello. „Ein richtiger Kracher zum Auftakt“, so hat es Festivaldirektorin Martina Richter versprochen – wir sind gespannt.

Und tatsächlich: „Nocturama“ geht unter die Haut. Der Film handelt von einer Gruppe Jugendlicher, die in Paris eine Reihe von Sprengstoffanschlägen begeht und sich anschließend in einem Kaufhaus verschanzen. Aufgrund des brisanten Themas wurde der Film angeblich nicht nach Cannes eingeladen; allerdings, so stellt Regisseur Bonello klar, sei der Film sechs Jahre in der Mache gewesen – also lange vor den verschiedenen Terrorattentaten, die sich 2015 in der französischen Hauptstadt abspielten. Trotzdem polarisiert „Nocturama“ genau deswegen jetzt so stark: Dem Regisseur wurde in nachträglichen Presse-Reviews vorgeworfen, durch die jugendlichen Protagonisten glorifiziere er die Gewalt und mache „Terrorismus cool“. Und auch die Publikumsstimmen sind geteilt: Denn der Film gibt keine Antwort darauf, warum die Jugendlichen die Anschläge begehen, und hinterlässt damit eine Leerstelle, die einige als unbefriedigend empfinden.

„Die wahre Motivation der Jugendlichen, die verorte ich dort, bevor der Film beginnt“, erklärt Bonello, „in den möglichen Treffen, die sie hatten, wo sie über ihre Gründe diskutieren. Mit geht es aber nicht um das Warum, sondern um die Geste des Aktes.“ Der Film sei zwar in die Gegenwart eingebettet, aber handele eben nicht von den Nachrichten. „Ich bewege mich zwischen alternativer Realität und Abstraktheit“, so der Regisseur. Wir finden „Nocturama“ großartig, gerade weil er auf den Erklär- und Belehrungs-Impetus verzichtet. Stattdessen: Eine unglaublich packende Handlung, die dem Zuschauer kaum einen Moment Ruhe könnt und mehrfach im Sitz hochschrecken lässt, um die Geschichte dann in fataler und erbarmungsloser Konsequenz zu Ende zu führen. Darüber hinaus: Wunderbar inszenierte Filmbilder, die an die bedrohliche Enge eines Kubrickschen Labyrinths erinnern, und eine starke Symbolsprache, die die auch visuell überzeugend machen.

Gegen dieses hoch angesetzte Spannungslevel ist es schwer anzukommen. Wir schauen uns die BBC-Serie „The Living and The Dead“ an, zwei Episoden des Mystery-Horror-Dramas werden uns gezeigt. Der Gruselfaktor bleibt dabei aber nur mäßig, denn die um 1890 einsetzende Geschichte des Psychologen Nathan Appleby, der nach dem Tod seiner Mutter mit seiner neuen Frau auf die heimatliche Farm zurückkehrt, um diese vor dem Ruin zu retten, erinnert zu weiten Teilen eher an Historiendrama-Kitsch: ein stattliches Herrenhaus umgeben von wogenden Ährenfeldern und grünen Schafweiden, fleißige Bedienstete, die junge Hausherrin, die das Farmleben beherzt in die Hand nimmt, während ihr melancholischer Gatte sich in die Bücher vertiefen oder dann doch den unerklärlichen Begebenheiten nachgehen darf, die sich immer wieder begeben. Erst ist die Pfarrerstochter besessen, dann wird ein kleiner Bauernjunge von quälenden Visionen geplagt. Wir sehen: „Downton Abbey“-Idyll vor der Jahrhundertwende, bei der nächtliche Geisterjagd und Okkultes auf wissenschaftlichen Erklärungseifer und technisches Fortschrittsstreben trifft. Dass Nathan aber selbst auch von den Schatten seiner Vergangenheit gejagt wird, wodurch sich noch eine Zeitreise-Dimension in der Narration andeutet, macht das Ganze dann doch ein bisschen zu viel Gewolltes.

Gut, dass das Film Festival Cologne auch leichtere Stoffe im Angebot hat. Die britische TV-Serie „Flowers“ zum Beispiel, die uns die heillos skurrilen Mitglieder der Familie Flowers zeigt und die Hassliebe der Familienkonstellation ebenso bitterböse wie witzig illustriert: Da ist der suizidgefährdete Vater, der als Kinderbuchautor arbeitet und sich dafür einen japanischen Illustratoren ins Haus geholt hat, die überfröhliche Mutter, eine schwerdepressive Tochter, die düstere Musik komponiert und ein leicht trotteliger Sohn, der sich mit seinen obskuren Erfindungen brüstet. Die Serie lebt von der Exzentrik der Charaktere und dem Wortwitz der Szenen – da würde man gerne noch mehr von sehen.

Wir begeben uns aber stattdessen noch in den Bereich Dokumentarfilm. Als erstes sind wir bei „Don Juan“ von Jerzy Sladkowski: Oleg ist 22 Jahre alt, lebt in Russland, ist Autist und hatte noch nie eine Freundin. Seine Mutter macht Oleg schwere Vorwürfe, weil er nicht für sie sorgen würde und ein Nichtsnutz sei. Mit den verschiedensten Therapiemaßnahmen erhofft sie sich doch noch die Heilung ihres Sohns, der so zum Frauenverführer und ganzen Mann gemacht werden könne: Während eine aggressive Psychologin versucht, Oleg mit Ohrfeigen zu maßregeln, soll ein Theaterstück den jungen Mann aus der Reserve locken. Dass Oleg nun inmitten hübscher Mädchen auftreten soll, macht es für den schüchternen Mann nicht gerade einfach. Hier allerdings verschwimmen die Grenzen von Dokumentarfilm und Fiktion: Denn dass Oleg in „Don Juan“ tatsächlich zu einem sehr hollywoodesken Happy End kommt, lässt an der Glaubwürdigkeit des Dokumentarischen zweifeln. Trotzdem bleibt die Geschichte ebenso anrührend wie berührend.

Bei „Weiner“ dagegen sind wir wieder bei der tagespolitischen Brisanz angekommen, die gerade angesichts des bevorstehenden US-Wahlkampfs relevant wird, indem er uns einen interessanten Blick hinter die Kulissen der amerikanischen Machtpolitik werfen lässt. Der Dokumentarfilm von Josh Kriegman und Elyse Steinberg begleitet den New Yorker Kongressabgeordneten Anthony Weiner, der bereits 2011 aufgrund eines Sex-Skandals von seinem Amt zurücktreten musste, nun 2013 bei seinem Wahlkampf für das Bürgermeisteramt von New York City. Dabei gerät der anfangs so vielversprechende Kandidat jedoch erneut in die Schlagzeilen, weil er wieder freizügige Bilder von sich an verschiedene Frauen verschickt. Wiener selbst stellt sich ungewohnt offen zu dem filmischen Blick und den Fragen der Dokumentarfilmer, während er gleichzeitig versucht, sein Familienleben und seine politische Karriere zu retten – auch wenn ihm der Boden unweigerlich unter den Füßen entgleitet. Ein wirklich packendes Porträt des Politikers, der nicht aufgeben will, und es am Ende aber doch muss.

Die ersten drei Festivaltage sind verstrichen, fünf liegen noch vor uns. Das Zwischenfazit soweit: Wir haben tolle Fernsehserien gesehen, allen voran die Politsatire „Baron Noir“, die französische Antwort zu „House of Cards“. Dafür hat uns der Bereich Kino durchaus auch enttäuscht, beispielsweise bei dem Drama „Certain Women“ von Kelly Reichardt, das eine ruhig-atmosphärische, aber letztlich langatmige und nichtssagend bleibende Ensemblegeschichte über sich kreuzende Lebenswege verschiedener Frauen entwirft. Zu kurz kommt der Fernsehbereich beim Film Festival Cologne also weder in Anzahl noch Qualität der gezeigten Produktionen. Bislang daher: Alles beim Alten.

Film Festival Cologne
07.-14. Oktober 2016, verschiedene Spielstätten in Köln.
Eintritt: 7 Euro Einzelkarte; 30 Euro Festivalpass.
Informationen zum Festival
Film Festival Cologne 2016 – Trailer


Abbildungsnachweis:
Headerfoto: Shane Laverdière. Courtesy: Sons of Manual
Galerie:
01. und 02. Szenen aus Nocturama
03. Still aus "Flowers"
04. Still aus "After the Storm"
05. Still aus "Baron Noir"

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